Warum wir den Einsatz abbrechen mussten

Ein kleiner Ausflug in die wundersame Welt der Schiffsstabilität, oder warum der erste Einsatz der “Sea Punk I” abgebrochen wurde

1968, Martin Luther King wurde erschossen, DJ Bobo wurde geboren, der Vietnamkrieg war noch nicht zu Ende. Aber es gab nicht nur schlechtes. Elvis lebte noch, Iggy Pop tat sich mit den Stooges zusammen und die Sea Punk I wurde gebaut. Damals noch als Y300 der Dänischen Marine.

Im Laufe der Jahre wurde die kleine Sea Punk I zum Fischereifahrzeug, Forschungsschiff und nun zum Seenotrettungsschiff. Ein Werdegang, der sich sehen lassen kann. Allerdings hat dieser Lebensweg auch ein paar kleine Besonderheiten. Als Marineschiff gelten andere Regeln als die, die für beispielsweise Frachtschiffe gelten. Was nicht so schlimm ist, da in den wilden 60ern die Regeln eh noch viel lockerer waren als heutzutage. Was doof ist, denn in den 60ern waren die Regeln eben viel lockerer als heutzutage und es mussten Anpassungen gemacht werden, um diese “modernen” Anforderungen zu erfüllen.

Und jetzt beginnt es, etwas schwammig zu werden. Vermutlich wurde das getan, als die Sea Punk I noch ein Fischereifahrzeug war. Man hat Feststoffballast in den Rumpf gebracht. Kein unübliche Praxis bei älteren Schiffen und es wurde auch gut und sorgsam gemacht, was wir allerdings erst später herausfinden sollten. Nach dem Kauf wunderten wir uns, dass der Tiefgang zu groß ist. Das ist das, was Archimedes erfunden hat – Gewicht verdrängt Wasser, da war was mit einer Krone aus Gold (oder eben nicht)… Vielleicht erinnert sich jemand an den Physikunterricht. Wenn nicht – auch nicht schlimm, ich versuche das hier jetzt zu erklären. Und ich versuche es so zu erklären, dass es jeder verstehen kann. Deshalb schon mal vorweg an geneigte Schiffbauer die das hier lesen: es ist eine sehr vereinfachte Form, ein kompliziertes Thema für alle verständlich zu machen, auch wenn man fachfremd ist.

Was ich also bis jetzt leicht launig geschrieben habe, beginnt nicht ohne Grund im Jahre 1968, denn dieser Feststoffballast ist für vieles verantwortlich, was uns im letzten Jahr widerfahren ist. Aber erstmal möchte ich erklären warum der Feststoffballast überhaupt im Schiff ist:
Im Prinzip ist es wie bei einem Metronom. Ist das kleine Gewicht am Zeiger unten, so sind die Bewegungen kurz und schnell. Ist es oben, so schwingt das Metronom weit aus, aber langsam. Im Laufe der Zeit wurden Technik und Ingenieurwesen besser und man baut heute Schiffe anders als in den 1960ern. Die Sicherheitsanforderungen sind heutzutage damit auch höher. Man hat also Stahlplatten und große Kettenglieder in den Kiel des Schiffes geschweißt, um unten mehr Gewicht zu haben (also das kleine Gewicht am Metronom sinnbildlich weiter nach unten geschoben). Dadurch verändert sich die Bewegung des Schiffs bei Seegang. Es reagiert weniger hektisch, was gut für Crew und Ladung ist.

Wir wissen jetzt, was ein Schiff mit einem Metronom zu tun hat, ich entschuldige mich bei DJ Bobo, dass ich ihn mit dem Vietnamkrieg gleichgestellt habe (ich bin in dem Alter das ich den ganzen Eurodance voll miterleben musste und kann bis heute aus unerklärlichen Gründen “Somebody dance with me” mitsingen, also bitte verzeihe mir Peter Rene), wir wissen von Archimedes und warum der Feststoffballast im Schiff ist. Der Feststoffballast war also sinnvoll platziert und sauber verbaut, aber leider nirgends erwähnt, außer in den Klasseberichten. Die Klassifikationsgesellschaft, also eine Art TÜV für Schiffe, betreut das Schiff seit 2015 und wusste, dass dieser Feststoffballast im Schiff war. Zumindest sollten sie es wissen, denn in jedem 2½-jährlichen Survey wurde dieser Ballast erwähnt.

By the way: Schiffe werden jährlich kontrolliert, es gibt außerdem eine 5-jährliche Abnahme, bei der das Schiff aus dem Wasser muss und dann noch eine 2½-jährliche intensivere Kontrolle. Das ist gut, denn so wird darauf geachtet, dass Schiffe in gutem Zustand sind, alle Sicherheitsausrüstung funktioniert und gewartet ist, Umweltstandards eingehalten werden und so weiter. 

Und wir haben just die 5 Jahres-Abnahme bestanden. Es hat etwas länger gedauert als geplant, eben wegen unserem Freund, dem Feststoffballast. Nun gibt es die Regelung, dass ab einer bestimmten Änderung des Gesamtgewichtes eines Schiffes ein Krängungsversuch durchgeführt werden muss. (Alle Witze über den Austausch des G´s mit einem K sind alle schonmal gemacht worden, deswegen spare ich es mir jetzt einfach mal.) Bei diesem Versuch verschiebt man Gewichte auf dem Schiff und schaut, wie weit es krängt, also sich zur Seite neigt. Liest sich einfach, ist aber aufwändig. Ein Schiffbauer kommt, Gewichte werden geeicht, es wird alles von hier bis nach überall gemessen. Die ganze Zeit steht jemand von der Klassifikationsgesellschaft daneben, dann werden Gewichte hin und her geschoben und wehe, die Position ist nicht millimetergenau. Acht mal wird das Ganze gemacht, dabei wird digital und mit Pendeln gemessen, wie weit sich das Schiff neigt.

Das wurde dann zu einem anderem Schiffbauer geschickt, der daraus dann ein Stabilitätsbuch errechnet hat. Ein Buch, das alle Daten enthält, die man so im Schiffsbetrieb braucht, um z.B. Ladung zu nehmen (in unserem Fall den Hospitalcontainer): Wie verteile ich Ladung? Bei welcher Menge an Ladung an welchem Ort muss ich welche Ballasttanks mit welcher Menge Wasser füllen? Das Buch wird dann an die Klassifikationsgesellschaft geschickt und dort schaut noch mal ein Schiffbauer, ob das alles richtig ist. Mal abgesehen davon, dass das ganze unglaublich teuer ist, ist es auch sehr ärgerlich gewesen, weil wir die Altlasten des Vor-Vorbesitzers abarbeiten mussten, die bisher niemanden interessiert haben. Und das Ganze ist doppelt ärgerlich, weil das Stabilitätsbuch und damit die Bestätigung, dass die Sea Punk I sich so verhält, wie ein Schiff sich halt so verhalten soll, auf den 15.05. datiert ist und am 17.05. gegengecheckt und gestempelt wurde.

Wer unser Tun verfolgt, wird merken, dass wir genau an diesem Tag ausgelaufen sind. Wir waren Stand-by und vorbereitet. All die Mühen, all die Arbeit, all die Unterstützung sollte sich jetzt bezahlt machen. Bis Palma sind wir gekommen, dann haben wir bemerkt, dass etwas nicht stimmt, das besser stimmen sollte. Wir hatten ein Problem mit einem Ölkühler und hatten deswegen Seewasser in der Maschinenraumbilge. 900 Liter, wie wir später beim Abpumpen gemessen haben. Diese 900 Liter hatten einen Einfluss, den dieses vergleichsweise geringe Gewicht nicht haben darf. Wir hingen 4° nach Steuerbord. Das soll so nicht sein. Ich habe also Kontakt zu diversen Menschen aufgenommen. Mentoren aus der Handelsschifffahrt, Lehrer von Seefahrtschulen, Unterstützer anderer Organisatoren. Denen möchte ich hier noch mal danken.

Auch wenn man einstimmig das sagte was ich schon wusste und eigentlich nur nicht wahrhaben wollte, war die Aussage deutlich: Fahr nicht raus bis genau klar ist, was da genau los ist. Und das haben wir dann so gemacht. Wären wir in so eine Situation gekommen mit 60 Geretteten Menschen an Bord wäre eine massive Umweltverschmutzung noch das Best Case Szenario gewesen. Den Worst Case mag man sich gar nicht ausmalen.

Also der Abbruch des Einsatzes.

Glaubt mir, das war keine leichte Entscheidung und ich habe es mir nicht leicht gemacht. Aber es gibt nunmal Dinge, bei denen man nicht einfach „Attacke“ schreien und losrennen kann. Manches muss mit kühlem Kopf entschieden werden – auch wenn einen selbst die Entscheidung, sei sie auch noch so richtig, nicht glücklich macht.
Was nun? Erst mal sind wir alle sehr traurig, frustriert und verfluchen die Schiffbauer, die uns gerade erst bescheinigt haben, alles sei gut so wie es ist. Und dann habe ich geplant, wie wir rausfinden, was los ist. Nach und nach werden wir mehrere Parameter ändern, um herauszufinden, was genau los ist.

Wer das Überfahrttagebuch aus Greifswald verfolgt hat weiß, dass die kleine Sea Punk I schon bewiesen hat, was sie kann. Irgendwas wurde in der Werft in Burriana gemacht, dass das jetzt anders ist. Und das nehmen wir jetzt in Angriff. Es ist ein herber Rückschlag, aber wir werden versuchen das schnell und gut zu lösen. Und ich bin guter Dinge, dass wir das hinkriegen.