Überfahrt Tagebuch
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Tag 16: Ankunft in Burriana 8.12.2022
Wir sind da! Heute Morgen sind wir mit der Sea Punk I den Hafen in Burriana erreicht. Was für eine wahnsinnig schöne Begrüßung Aurora – Support und Open Arms!
Jetzt wird erst einmal kurz durchgeatmet und dann beginnt der letzte Teil der Vorbereitungen auf unseren ersten Einsatz.
Tag 14: Urlaubsgrüße 6.12.2022
Es ist schon wirklich anders hier. Die See wird von Stunde zu Stunde glatter, der Himmel ist blau, 20 Grad. Es gibt Kuchen, am Achterdeck hängen Hängematten. Gar nicht so übel. Alles ist ein bisschen langsamer geworden und wir versuchen, die letzten Tage an Bord ein bisschen zu genießen.
So entspannt wie jetzt wird es wahrscheinlich nicht mehr werden. Entweder Anspannung wegen bevorstehender Rettungen oder aber Anspannung wegen des Wartens auf einen Hafen. Ganz besondere Tage also.
Tag 13: Mittelmeer 5.12.2022
Nach einem wirklich schnellen Abstieg von Tobi, es waren maximal 10 Minuten zwischen an- und ablegen, fahren wir wieder raus auf den Atlantik. Es wird er letzte Tag hier sein, im Laufe der Nacht fahren wir über die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer.
Doch erst einmal verabschiedet sich der Atlantik noch einmal mit einem Knall: Rock ’n’ Roll! Dieses Mal kommt es wirklich aus allen Richtungen gleichzeitig und wir werden richtig durchgeschüttelt. Es lässt sich ein bisschen leichter durchhalten, wenn man schon weiß, dass es maximal ein paar Stunden so weitergeht. Wer kann, zieht sich in die Koje zurück, weil es dort besser auszuhalten ist.
Nass geschwitzt nur vom stehen, auch mal wieder so eine neue Erfahrung. Nachdem wir dann den Kurs gewechselt haben und in die Straße von Gibraltar fahren, wird es Stück für Stück angenehmer, bis die Wellen dann von hinten kommen und uns in Richtung Mittelmeer schieben. Auf der einen Seite Europa, auf der anderen Afrika. An dieser Stelle gerade einmal 15 Kilometer voneinander entfernt und doch sind Welten dazwischen.
Einerseits ein symbolträchtiger Ort, auf der anderen Seite einfach nur eine tödliche Grenze, unser unmenschliches Konstrukt.
Tag 12: Sommer 4.12.2022
Was für ein Tag! Strahlend blauer Himmel, 17 Grad und kaum Wellen. Wir haben ein bisschen mehr Zeit draußen verbracht um so viel wie möglich davon mitzunehmen. So darf es weitergehen!
Dann habe ich mit Isa eine große Maschinenrunde gemacht. Nachdem bisher ziemlich wenig aus dem Maschinenraum zu hören war dachte ich, dass es mal Zeit ist auch was von „da unten“ zu berichten. Im Idealfall (heute war das so) besteht der Job hauptsächlich aus ablesen und nachfüllen. Temperaturen, Ölstände, Verbräuche.
Bis man so eine Runde durch hat, geht gut ne Stunde vorbei. Und das bei jedem Wetter. Mit durchgehend 35 Grad oder mehr. Ich will gar nicht die anderen Jobs am Schiff kleinreden, aber das ist schon ne Nummer. Wobei das heute ja nur die harmlose Variante ohne Zwischenfälle war. Wenn mal was kaputt ist, geht‘s ja erst richtig los. Abgase, Hitze, Schmiermittel, Lärm. Trotzdem haben die da meistens großen Spaß.
Highlight: Ruderanlage schmieren. Da quetscht sie sich in die allerletzte Ecke des Schiffs, um dann mit den letzten cm Bewegungsfreiheit ein bisschen Fett zu verteilen. Und das fast jeden Tag. Abenteuerlich!
Tag 11: Wieviel Glück kann man haben? 3.12.2022
Immer das gleiche: „Oskar, wie wird das Wetter?“ „Aaaah, I checked the forecast, looks like it’s going to be a lot of rock ’n’ roll tomorrow!“ Und wieder einmal haben wir Glück und das fiese Wetter bleibt aus.
Zwar haben die Wellen schon eine gewisse Höhe, sind aber gleichzeitig so lang, dass wir kaum mehr als ein sanftes Schaukeln zu spüren kriegen. Hammer! Dazu wieder Sonne und 15 Grad, was wollen wir mehr?
Wie es aussieht, schaffen wir den Rest der Strecke am Atlantik entlang in wenigen Tagen und dann sind wir dort, wo das Schiff bleiben soll: im Mittelmeer.
Heute sind wir weiter an der portugiesischen Küste entlanggefahren, haben Lissabon passiert und sind dann im Laufe der Nacht schon wieder bei Spanien. Mitbekommen haben wir davon natürlich nichts. Fühlt sich an wie ein sehr sehr langer Langstreckenflug. Man ist, technisch gesehen, in so vielen Ländern gewesen, gesehen hat man aber nichts.
Entscheidender Unterschied: wir merken, wie das Wetter Stück für Stück besser wird. Wärmere Luft, Sonne im Gesicht. Bei Isa ist das nur ein bisschen anders: „Im Maschinenraum merken wir das fast genauso wie ihr, die Temperaturanzeige der Seewasserkühlung steigt auch permanent!“. Aktuelle Badetemperatur ist 8 Grad. Das verschieben wir dann doch nochmal ein bisschen, vielleicht haben wir Glück und erwischen in Spanien noch ein paar Tage Badewetter.
So langsam fühlt es sich nach Endspurt an.
Tag 10: Portugal! 02.12.2022
Unglaublich, vor 6 Tagen waren wir noch im kalten Büsum, inzwischen fahren wir entlang der portugiesischen Küste bei angenehmen 13 Grad und strahlend blauem Himmel.
Oskars Gesicht hat sich heute Mittag bei Wachbeginn schlagartig aufgehellt: seit Greifswald mussten wir uns schon anhören, wie furchtbar dieses nordeuropäische Wetter und wie schön es doch gerade zuhause in Spanien ist. Jetzt die Sonnenbrille aufgesetzt und die Sonne ins Gesicht scheinen lassen. Da gehts jemandem echt gut.
Was auch positiv ist: Wir sind schneller, als wir das vermutet hätten. Selbst bei schlechtem Wetter halten wir meist noch eine Geschwindigkeit von knapp 8 Knoten und das auch noch bei konstant recht geringem Verbrauch.
Auch wenn sich einige Baustellen aufgetan haben, die demnächst bekümmert werden möchten, sind wir doch zufrieden. Das Schiff liegt gut und tut im Großen und Ganzen, was es soll. Trotzdem ist die Belastung der Crew sehr unterschiedlich. Manche haben kaum etwas zu tun, weil gewisse Arbeiten bei stärkerem Seegang nicht gemacht werden können, andere haben viel zu viel zu tun, weil es durchgehend kleinere Probleme zu lösen gibt und durch die lange Wartezeit Ausfälle in der Crew zu verschmerzen sind.
Die Wettervorhersage für die nächsten Tage sieht leider nicht so gut aus, wir hoffen aber wieder auf unser Glück, damit wir möglichst schnell ankommen können.
Tag 9: Biscaya (immer noch ?!?) 01.12.2022
Das mit der Physik ist schon ne spannende Sache: bei jeder großen Welle, die uns von der Seite trifft und heftig in Schräglage bringt, bin ich mir absolut sicher, dass es uns jetzt umwirft. Aber irgendwie passierts dann doch nie (was ich nicht schlimm finde).
Dem Kopf hilft es immerhin ein wenig, dass unsere Crew da tiefenentspannt am Steuer sitzt – dann kann’s ja so kritisch nicht sein.
Leider habe ich es immer noch nicht geschafft, das ganze Spektakel mit der Kamera so einzufangen, dass es fühlbar wird. Diese Bewegungen, wie dieses kleine (aber irgendwie ja schon auch große) Schiff von den Wellen hin- und hergeworfen wird. Unglaublich. Und dann waren da wieder ein paar Delfine, 14 Grad und Sonnenschein, gar kein schlechter Tag.
Im Laufe der Nacht werden wir dann am anderen Ende der Biscaya ankommen, dort wird’s nochmal rumpelig. Entlang der Atlantikküste bleibts dann aber doch das Wetter von der Seite, dass uns noch ein paar Tage begleiten wird, bis es dann nach Gibraltar ruhiger wird.
Also heißt es heute: früh schlafen, man weiß nicht, wann man aus der Koje gekegelt wird!
Tag 8: Biscaya 30.11.2022
Jetzt sind wir da. Die Querung Biscaya wurde immer als das schwierigste Stück angesehen, jetzt gehts los. Irgendwann am frühen Morgen ist dann auch ein Unterschied zu spüren. Ab 5 Uhr schlafe ich nicht mehr ein, das Rollen ist recht stark geworden.
Aber: die Wettervorhersage hat nicht zu viel versprochen. Sonne satt und wir sind endlich auf offener See. Der Seegang ist längst nicht so schwierig, wie erwartet. Also entscheiden wir: durchziehen! So lange das Wetterfenster hält, so viel Strecke machen wir möglich. Die Aussicht ist großartig. Zu allen Seiten nur noch Wasser, in weiter Entfernung hin und wieder mal ein Schiff. Sonst nichts.
Dann kommt ein Ruf von der Brücke: Delfine! Über 5-10 Minuten begleitet uns eine kleine Gruppe von Delfinen, tauchen immer mal wieder in Bugnähe auf und machen ein paar Sprünge Wieder so ein erstes Mal.
Im Schiffsalltag kehrt immer mehr Ruhe ein. Nach inzwischen 3 Wochen auf engstem Raum versuchen wir, uns das bisschen Privatsphäre zu erhalten, was auf so einem kleinen Schiff eben möglich ist. Manche Leute sieht man dann auch mal einen Tag gar nicht. Noch haben wir ein Stückchen vor uns, also auch mit den mentalen Kräften haushalten.
Tag 7: Guernsey 29.11.2022
Letzter Zwischenstopp. Fun fact: wer als deutscher Verein oder Unternehmen ein Seeschiff betreibt, zahlt auf Diesel keine Energiesteuer. Tolle Sache. Problem ist nur: diese Regelung gilt nur, wenn eine Gewinnerzielungsabsicht besteht. Naja, wen wundert‘s. Das zumindest war der Grund, dass wir in Deutschland die Tanks noch nicht voll gemacht haben und diesen Halt einlegen mussten.
Guernsey ist eine kleine Insel vor der Französischen Küste, untersteht aber der britischen Krone. Wir legen neben einer riesigen Föhre an, die vermutlich hauptsächlich Tagestouristen bringt. Ein kleines bisschen Helgoland-Feeling, nur mit Autos und Tshirt Wetter.
Das Bunkern dauert ein paar Stunden, währenddessen ist Zeit für kleine Reparaturen an der Maschine und endlich mal wieder Kommunikation mit zuhause. Anrufen, Sprachnachrichten schicken, per FaceTime „Trivial Pursuit“ mit den Kindern spielen.
Abseits dieser netten Auszeit ist wieder das Wetter Thema Nummer eins. Mit den üblicherweise 2-3 Tagen, auf die man sich bei der Vorhersage verlassen kann, war eine richtige Planung nur sehr schwer machbar. Jetzt sind wir aber da, das Ende des Kanals ist bald erreicht, dann kommt die Biskaya.
Dort ist die größte Herausforderung, dass die Wellen zu dieser Jahreszeit recht hoch sein können und noch dazu von der Seite kommen. Das kann mit einem kleinen Schiff wie unserem ganz schön ungemütlich werden. Gerade sieht es aber so aus, als könnten wir „Glück“ haben: für die nächsten Tage sind 3-4 Meter angesagt, deutlich besser als die 6 Meter, die dort zuletzt zu sehen waren.
Wenn es passt, werden wir direkt durchfahren, morgen, wenn wir um das letzte Stück Frankreich herumgefahren sind, wissen wir mehr. Heute aber endet der Tag erst einmal mit Sonne, sanften, langen Wellen und Lasagne.
Tag 6: 28.11.2022 – Ärmelkanal
Heute Nacht sind wir in den Ärmelkanal gefahren. Ein wenig mulmig war uns da vorher schon, auch hier könnten wir ja schon auf Geflüchtete in Seenot treffen. Das Wetter war gar nicht so übel, alles möglich. Passiert ist dann aber doch nichts.
Langsam sind alle „angekommen“ auf dem Schiff. Das Wetter ist ein wenig freundlicher, die Wellen weniger, und alle haben sich an die Bewegungen des Schiffs gewöhnt. Es kehrt also sowas wie Schiffsalltag ein. An der Maschine werden die ersten Verbesserungen umgesetzt, auch Putzen ist wieder möglich (juhu!). Außerdem hat Frido Burger gemacht (noch mehr juhu!).
Inzwischen sind wir seit etwa drei Wochen in dieser Konstellation auf dem Schiff. Ein sehr spezielles Gefühl. Riesige WG, aber ohne Gäste. Manches machen wir zusammen, einigen Menschen begegnet man kaum noch, weil die Schichten versetzt sind. Das Schiff, was permanent unterwegs ist, aber eben doch nicht ankommt, gleichzeitig sowohl Sicht- als auch Datenverbindung nach außen hat und doch von allem isoliert ist, scheint gerade wie eine Parallelwelt.
Ich versuche mir vorzustellen, was das mit einem Leben macht, wenn man immer wieder wochenlang auf Schiffen unterwegs ist. Das Leben zuhause ist eben nicht auf Pause gestellt, auch wenn es sich so anfühlt. Alles, was dort liegen bleibt, wird uns wohl wie eine kleine Lawine überrollen.
Noch aber ist der Alltag weg. Morgen sind wir in Guernsey, bunkern. Das überrollt dann zumindest das Vereinskonto, große Lawine.
Tag 5: Wellengang 27.11.2022
Ich war noch nie länger als 24 Stunden am Stück auf See, vielleicht erklärt das ein bisschen die ausführliche Auseinandersetzung mit Wellen und Seegang. Vor der Überfahrt wurde immer wieder davon gesprochen: Biscaya, 6-7 Meter Wellen, Seekrankheit, abwettern in Buchten. Ohne jegliche Erfahrung habe ich natürlich versucht, mich auf alles einzustellen. Dann jeden Tag die Frage „Und, wie hoch sind die Wellen jetzt? Ach, nur 2 Meter, ok“.
Alles nur Zahlen und Warnungen, schwer einzuschätzen, wie sich das anfühlt. Ich ging ins Bett mit der Ankündigung, dass ich wohl während der Nacht herausgeworfen werden würde. Ganz so schlimm war es dann nicht, aber an Schlaf war dann nicht mehr wirklich zu denken. Für mich persönlich ist die Angst, dass das Schiff kaputtgehen könnte, schlimmer als Seekrankheit. Ich bleibe weiterhin verschont, während einige andere immer wieder auf s Klo stürzen. Aber diese Geräusche, mit denen ich Nachts aufgewacht bin, sind furchtbar. Knacken, schlagen, metallisches Scheppern. Aus jeder Ecke kommt etwas anderes. Dann die ganze Zeit Wassergeräusche: Ist das jetzt noch draußen oder ist das irgendwie ins Schiff gekommen? Furchtbar.
Das Wetter ändert sich nicht wirklich, bis in den Nachmittag hinein bleibt es ziemlich wild. Wellen, sehr ungleichmäßig und teilweise 3 Meter hoch, der Bug hebt und senkt sich schnell und andauernd. Auf den Videos, die ich gemacht habe, wirkt das alles nur halb so schlimm und es macht nicht fühlbar, was das mit dem Körper macht.
Wahrscheinlich kann man es am ehesten mit einer Achterbahnfahrt vergleichen. Erinnere dich daran, wie sich diese 1 oder 2 Stellen einer Achterbahn anfühlen, an denen du für einen Moment schwerelos bist. Und jetzt stell’ dir vor, das Gefühl hast du alle 10 Sekunden, unterbrochen nur von diesen schnellen, ruckartigen Kurven. Eine neue Runde, eine neue Runde, wer hat noch nicht, wer will noch mal?
So ist Sea Punk I auf der Nordsee im Herbst.
Tag 4: Nordsee – 26.11.2022
Toller Tag zum losfahren, könnte man zumindest denken, wenn man morgens aus dem Fenster schaut. Blauer Himmel, Sonne, endlich wieder etwas wärmer. Heute gehts los nach Guernsey. Drei Tage sind dafür angesetzt.
Die ersten Meilen sind großartig. Alle verbringen nochmal ein bisschen Zeit an Deck, Nase in den Wind halten. Nach ein paar Stunden wird es dann aber doch zunehmend schlechter. Nebel zieht auf, es wird windiger und auch die Wellen werden höher. Gegen Abend sind es dann schon um die zwei Meter und es wird langsam ungemütlich. Die erste Person im Maschinenraum fällt aus, seekrank und zu entkräftet, um weiterzumachen. Zum Glück ist die zweite Person aber noch fit. Trotzdem steigert das natürlich die Belastung, jeder Handgriff wird zu einem größeren Stück Arbeit.
Nils kündigt schon mal an: gegen 2 Uhr heute Nacht wird der Kurs gewechselt, die Welle kommt dann von der Seite und wird uns wohl alle erstmal aus der Koje werfen.
Morgen ist Sonntag, da wird sowieso keine zusätzliche Arbeit eingeplant, gutes Timing also, um in den Überlebensmodus zu wechseln. Ausschlafen wäre auch nett, mal sehen ob das klappt…
Tag 3: Long shower day!! 25.11.2022
Landkrank – alle! Irgendwie gewöhnt man sich ja doch ganz schön schnell an manche Dinge. 30 Stunden waren wir jetzt in Fahrt, heute Nacht im Hafen von Büsum war’s dann plötzlich wieder ganz ruhig.
Nach zwei Wochen Wartezeit mit kompletter Crew sind unsere Vorräte fast aufgebraucht, also wird der Halt in Büsum zum aufstocken genutzt. Einkaufen mit dem Taxi – das haben wir auch noch nicht gemacht. Leider bedeutet die Verzögerung auch, dass zwei Leute die Crew wieder verlassen müssen Jules und Willi Peter haben leider keine Zeit, um weiter bis nach Spanien mitzufahren, also kommt Frido an Bord. Kein leichter Job, nachdem wir so erstklassig bekocht wurden. Immerhin haben die beiden einen ganzen Tag Zeit, um die Kombüse zu übergeben, das macht den Einstieg ein bisschen leichter. Nils und Oskar haben weiter das Wetter im Blick, aktuell sieht es immer noch sehr gut für uns aus, zumindest für alles, was nach dem Ärmelkanal kommt. Vielleicht haben wir wirklich ein bisschen Glück und kommen einigermaßen schnell durch die Biskaya. Jetzt aber erst einmal vorbereiten auf die nächste Etappe bis nach Guernsey. Technisch gibt es keine größeren Dinge zu tun, so wie wir es gehofft haben.
Morgen geht’s dann wieder los, wieder eine Nummer „größer“ auf der Nordsee.
Persönliches Tageshighlight: Long shower day! Nach den Sparmaßnahmen der letzten Tage konnten wir in diesem Hafen das Wasser endlich wieder auffüllen und alle dürfen duschen – dieses mal sogar ein bisschen ausgiebiger. Wie das hier auf einmal riecht! Fast so gut wie Julez‘ Essen. Aber reicht jetzt auch, Frido macht das schon!
Tag 2: Zum Nord-Ostsee-Kanal 24.11.2022
Das war’s: erster Tag geschafft. Spätestens, nachdem Nils uns gesagt hat, dass wir vielleicht maximal zwei Meter Welle hatten, haben alle verstanden, was da noch auf uns zukommen könnte. Klar, man wird sich Stück für Stück daran gewöhnen, aber ein Spaziergang wird es auch nicht. Während der Nacht gibt es noch einige Abschnitte, die uns ordentlich durchschütteln, die meisten bekommen aber wenigstens ein Minimum an Schlaf.
Für einige klingelt dann kurz vor 6 Uhr der Wecker: Schleuserei ist angesagt! Die kleine Sea Punk I zwischen den großen Pötten, spannend!
Kurz vor der Schleuse dann plötzlich Lärm: Am Rand des Kanals sieht man ein paar Lichter zucken, ein Transparent dazu. Lena hat eine kleine Gruppe Menschen aus Kiel mobilisiert, die uns lautstark Motivation zuschreien. Hammer!
Nach dem Schleusen ist wieder Geschrei zu hören: „Seenotrettung ist kein Verbrechen!“ Zeit genutzt, neue Position gesucht und noch einmal. Danke für den herzlichen Support, ihr wart großartig!
Ab da wird es dann gemütlich. Wir tuckern mit 4-7 Knoten durch den Kanal, alle 30 Minuten die Durchsage mit der aktuellen Verkehrssituation, Abstand halten, manchmal in der Weiche warten. Und von vorn. Nach der gewöhnungsbedürftigen Nacht davor ist das die perfekte Art, um auf dem Schiff anzukommen. Durchatmen. Dann läuft es auch noch so gut, dass wir zum Sonnenuntergang den Kanal verlassen, runder Abschluss.
Dann mit ablaufendem Wasser durch die Elbmündung, teils mit wahnwitzigen 13 Knoten Richtung Büsum. Irgendwann kommen wir schräg auf die Wellen und lernen: Man kann auch wogen UND rollen gleichzeitig. Jetzt sind wir aber wohl alle schon Profis, Karten spielen beim Achterbahnfahren ist kein Ding.
In den Büsumer Hafen geht’s dann mit einem eleganten Schwung, Nils parkt uns ein, als wäre er nie ein anderes Schiff gefahren und dann: Gute Nacht! Morgen wird eingekauft.
Zweites Highlight des Tages: Das Crewmitglied vom benachbarten Tanker in der Schleuse, das uns eine Dankesgeste rüberschickt. Ein Danke dafür, dass wir da sind.
Tag 1: Abfahrt 23.11.2022
Es geht los. Die letzten Tage waren aufreibend: Sitzen, warten, Mails checken. Ohne Versicherungspapiere können wir noch nicht starten. Zwei Wochen lang warten, mit kompletter Crew, Verpflegung, Wasser und Sprit. Also Sprit sparen. Bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt bleibt die Heizung aus. Auch Wasser sparen müssen wir. Duschen nur alle drei Tage, dafür wird dann auch mal kurz der Boiler angeschmissen.
Das schlimmste war aber diese Unsicherheit: Morgen klappt es bestimmt, wir stellen uns schonmal darauf ein, spätestens mittags is es so weit. Dann aber wieder nichts, morgen das gleiche Spiel noch einmal. Stimmung am Boden. Das fiese daran: Wir fahren sowieso schon zu einer ungünstigen Jahreszeit los, das Wetter wird immer schlechter, wir werden immer wieder Pausen einlegen müssen, um auf bessere Tage zu warten. Aber jetzt is es so weit, die Vorfreude groß.
Auf uns wartet der erste große Test des Schiffs, nachdem es mehr als acht Monate lang nicht in Bewegung war. Wie hoch ist der Dieselverbrauch? Wie verhält es sich bei Schlechtwetter? Wie belastbar ist die Maschine? Halten die Umbauten die Belastung aus? Die nächsten Wochen werden es zeigen.
Der erste Abschnitt führt uns von der Ostsee durch den Nord-Ostsee-Kanal bis nach Büsum. Das Wetter ist nicht schlecht, aber die Wellen treffen uns von der Seite. Das sorgt für kräftiges Rollen, das bekommt nicht allen. Die Klotür ist direkt viel häufiger geschlossen, die ersten Tabletten und Pflaster gegen Seekrankheit werden ausgegeben. Stück für Stück kehrt Ruhe ein. Die Crew der Abend- und Nachtwachen schläft erst einmal, der Rest der Besatzung versammelt sich auf der Brücke, der Horizont im Blick hilft. Mir geht’s komischerweise gar nicht schlecht, obwohl ich fast gar keine Erfahrung auf See habe. Zumindest der Magen spielt mit. Der Kopf spielt sein eigenes Spiel.
Die Wellen werden Stück für Stück höher, schlagen über den Bug. Wie Achterbahn fahren mit geschlossenen Augen. Prost! Ab welchem Punkt kippt so ein Schiff eigentlich um? Keine Ahnung. Aber unsere Nautiker*innen zum Glück schon und die sind tiefenentspannt. Scheint also zu gehen. Puh! Unten in den Kabinen schaukelt uns das Schiff in den Schlaf. Morgen früh um 6 Uhr wieder aufstehen, da kommt die Schleuserbande am Nord-Ostsee-Kanal an.