Triggerwarnung: Dieser Text benennt sexuellen Missbrauch und Gewaltverletzungen.
Über die letzten Wochen wurden wichtige Fortschritte beim Ausbau und der Montage des neuen Medizincontainers auf der SeaPunk I gemacht. Zunächst wurde der Container mit dem Heck verschweißt und für die Anforderungen an die hohe See umgebaut. Beim Innenausbau und der medizintechnischen Ausstattung des Containers wurde Rücksicht genommen auf die Krankheiten und Verletzungen die Geflüchtete häufig aufweisen. Das gilt im besonderen Maße auch für alle Medikamente und medizinischen Verbrauchsartikeln die wir einsetzen werden. Daten die auf einem Seenotrettungsschiff der NGO Ärzte-ohne-Grenzen zwischen Januar 2016 und Dezember 2019 gesammelt wurden, zeigen dass jeder zweite Gast ärztliche Hilfe aufsuchen musste.
Die am häufigsten dokumentieren Erkrankungen waren in dieser Untersuchung Hautkrankheiten, Reisekrankheit, milde Infektionskrankheiten der Atemwege und des Magen-Darm-Traktes, Kopfschmerzen und akute Verletzungen. Behandlungsbedürftige Hautkrankheiten waren vor allem die Krätze, welche typischerweise mit einer langen Verweildauer unter schlechten hygienischen Bedingungen verbunden ist (z.B. in Menschenmengen, in Armut und Internierungslagern). Häufig kommt es bei der Krätze zu einer Superinfektion der Haut, da eine medizinische Hilfe während der Flucht nur mangelhaft erfolgt und damit potentiell lebensbedrohlich ist.
Bei den akuten Verletzungen handelte es sich unter anderem um Verbrennungen, welche auftreten, wenn das Gemisch aus Salzwasser und Treibstoff, das häufig im Inneren der Boote verschüttet wird an der Kleidung und am Körper der Geflüchteten haften bleibt. Frauen scheinen überproportional häufig von Treibstoffverbrennungen betroffen zu sein. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Frauen oft in der Mitte des Bootes sitzen, um vor den Wellen geschützt zu sein, da sie oft nicht schwimmen können. Wenn Treibstoff ausläuft, sammelt sich dieser oft in der Mitte des Bootes, wo die Frauen sitzen.
Aber auch nicht-gewaltbedingte und gewaltbedingte Verletzungen traten auf. In einem von Ärzte-ohne-Grenzen veröffentlichten Bericht über den Gesundheitszustand von Geflüchteten die in einer der Internierungslager Libyens festgehalten wurden, sind neben den katastrophalen Lebensbedingungen Verletzungen durch stumpfe Gewalt, Vergewaltigung und sexueller Missbrauch dokumentiert. Auch vor ihrer Ankunft in Libyen haben viele Geflüchtete in ihrem Herkunftsland oder auf der Flucht Gewalt erfahren, darunter Erpressung, Misshandlung, Menschenhandel, Zwangsarbeit und sexuelle Ausbeutung. So mussten ca. 10% der weiblichen Gäste nach Verletzungen durch sexuell- und geschlechtsbezogene Gewalt behandelt werden. Auch zeigt sich, dass ca. ein Viertel aller Frauen die ärztliche Hilfe in Bezug auf ihre gynäkologische und reproduktive Gesundheit in Anspruch nahmen während ihres Aufenthalts auf dem Seenotrettungsschiff. Nicht zuletzt waren ca. 10% der Frauen zum Zeitpunkt der Rettung schwanger und in dieser Phase besonders schutzbedürftig.
Die adäquate medizinische Versorgung von Geflüchteten kann nur in einem Schutzraum wie dem Medizincontainer gelingen, vor allem in Hinblick auf Verletzungen und Erkrankungen weiblicher Geflüchteter. Auch muss dieser Container so ausgestattet sein, dass eine Therapie bereits auf hoher See begonnen werden kann, um die Gesundheit der Gäste zu erhalten und damit Folgekrankheiten oder einer Traumatisierung entgegenzuwirken.
Diese medizinische Hilfeleistung ist hierbei mehr als eine klare rechtliche Verpflichtung im internationalen Seerecht. Sie ist ein Menschenrecht.